(Last Modified 16/8/124)

PHILOSOPHY OF MATHEMATICS EDUCATION JOURNAL 11 (1999)

 

WO BLEIBT DAS SUBVERSIVE?

 

Thomas Jahnke

University of Potsdam

jahnke@rz.uni-potsdam.de

 

Abstract

The text raises the question why didactics seems to be such a harmless matter. Various aspects of the perception and the reputation of didactics are discussed rather more than its real meaning or importance. Is the low regard in which didactics is held also a consequence of its alleged purpose of reconciling the learner with the given facts of this world instead of enabling him to change them?

 

Wo bleibt das Subversive?

Ist die Fachdidaktik ein harmloses Metier?

Dank dem Zentrum f�r die Einladung, Dank auch an die Anwesenden, die erschienen sind, weil oder obwohl ich hier bereits schon einmal vorgetragen habe. Ich verstehe meinen heutigen Vortrag mehr noch als meinen letzten als Thesen zu einem anschlie�enden Gespr�ch, und damit dieses auch zustande kommt, werde ich im folgenden hier und da ein wenig �bertreiben, nur da� ich Ihnen zun�chst nicht sage wo. Robert Havemann soll einmal vor dem Zentralkomitee und, wenn ich nicht irre, als dessen Mitglied, nachdem wohl ein Redebeitrag von ihm einige Emp�rung hervorgerufen hat, gesagt haben: Meine Damen und Herren, ich wei� gar nicht, warum Sie sich so aufregen, das, was ich sage, ist eine ungeheuerliche Harmlosigkeit, verglichen mit dem, was ich denke.

In einer der Veranstaltungen, in denen sich die Fachdidaktiken und die Schulp�dagogik im letzten und vorletzten Semester zu einem Dialog zusammenfanden, sprach auch ein Student �ber sein Studium und machte eigentlich eher beil�ufig die Bemerkung: Die Didaktik erschiene ihm irgendwie so harmlos. Ich denke, die Ungeheuerlichkeit dieser Bemerkung war ihm gar nicht bewu�t, sie war fast versehentlich �ber seine Lippen gerutscht, und ehe ich mich noch so recht emp�ren konnte, kam mir der Gedanke, da� er mit seinem Diktum etwas getroffen hat, wor�ber sich nachzudenken lohnt.

Es geht dabei nat�rlich nicht darum, da� er recht haben k�nnte, sondern um die Frage: Wie kommt die Didaktik zu dem Odium der Harmlosigkeit? Ich will hier also nicht Bestimmungen f�r eine harmlose und eine nicht-harmlose Didaktik entwickeln, um dann die harmlose Didaktik zu brandmarken und den Kollegen in die Schuhe zu schieben und diesem Pappkameraden schlie�lich meine nicht-harmlose, vielleicht sogar subversive Didaktik gegen�berzustellen, nein, es geht mir zun�chst tats�chlich nur um die Frage: Wie kommt die Didaktik, und ich meine damit vor allem die Fachdidaktik, zu dem Odium der Harmlosigkeit?

Ich will versuchen, die Intention dieser Frage noch einmal an einem Beispiel zu verdeutlichen: Das Bild des Lehrers in der �ffentlichkeit namentlich in der Presse ist recht negativ. Wenn ich mich damit besch�ftige, dann ja nicht, weil ich glaubte, hier liege ein berechtigtes oder unberechtigtes Urteil vor, es ist ja ganz offenkundig, da� hier gar kein Urteil vorliegt, aber dennoch kann ich versuchen, die Genese dieses Bildes oder Zerrbildes zu verstehen, ist es sinnvoll zu untersuchen: Warum pr�gt ein Lehrer mit dem Surfbrett auf seinem PKW-Kombi dieses Bild oder ein penetranter Mathe-Pauker und nicht andere positiver „besetzte" Figuren?

Zur�ck zum harmlosen Odium der Didaktik:

1. Es k�nnte von den Personen ausgehen, die Fachdidaktik betreiben, also den Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktikern.

2. Es k�nnte auf die Art und Weise zur�ckgehen, wie Fachdidaktik hier im Hause und anderswo betrieben wird; sozusagen auf ihre Erscheinungsform, also auf einer Verwechslung von Form und Inhalt beruhen.

3. Es k�nnte mit der Auffassung �ber die Rolle der Fachdidaktik im Studium k�nftiger Lehrerinnen und Lehrer in Verbindung stehen. Auffassungen von Personen innerhalb oder au�erhalb der Fachdidaktik, m�glicherweise auch (vermeintlich) oberhalb oder unterhalb von ihr.

4. Sein Herd k�nnte auch in Auffassungen vom - wenn Sie mir dieses sehr deutschen Wort gestatten - vom Wesen der Fachdidaktik zu suchen sein.

Diese vier m�glichen Aspekte lassen sich nicht fein s�uberlich trennen, sie gehen ineinander �ber, und ihre Unterscheidung ist nur rein pragmatischer Natur.

Didaktiker

Zum ersten Punkt, also zu dem Bild, das die Didaktiker abgeben, kann ich hier nicht sehr viel sagen, zumal ich hier ganz besonders befangen bin. Es gibt da schon merkw�rdige Figuren, das w�rde ich jedem Studenten sofort konzedieren: den Erkl�rfritz, den mehr oder weniger heillosen Schw�tzer, den strengen Missionar oder die freundliche Hebamme; ich kann nicht beurteilen, ob es nun in den Fachdidaktiken mehr solche Figuren als in anderen Wissenschaften gibt, ernster w�re schon die Frage, ob das, was hier am Fachdidaktiker als l�cherlich, �tzend oder klebrig erscheint, z.B. bei einem Mathematiker oder Chemiker als schrullig-liebenswert, genial-vertrottelt oder sympathisch weltfremd gesehen und bezeichnet w�rde. (Einstein ist nicht l�cherlich, da kann er noch so weit die Zunge herausstrecken!) Das l�ge dann aber nicht am Fachdidaktiker, sondern an der Wert- oder Geringsch�tzung seiner Wissenschaft, auf die ich weiter unten eingehen will. Es gibt da auch den freundlichen „didaktischen Onkel", der alles noch einmal erkl�rt und gerade auf Grund seiner nachhaltigen Freundlichkeit so harmlos wirkt, zugleich aber recht gern f�r Examenspr�fungen gew�hlt wird. Na ja, und!

F�r den Didaktiker selbst ist vielleicht bedr�ckend, da� sein Metier sich - zumindest im gr��eren, wenn auch nicht gro�en Stil - erst in den sechziger, siebziger Jahren an den Hochschulen etabliert hat, und so fehlen ihm vielleicht die bedeutenden Ahnen oder Vorbilder, die geschichtliche Tiefe und Weite der Disziplin. Das k�nnte wohl auch ein Grund daf�r sein, da� man hier - mehr als in anderen Bereichen - auf Autodidakten trifft, bei denen eher die Schroffheit ihres eigenen Denkens - zuweilen wohl auch Hausbackenes und Selbstgestricktes - auff�llt als die Sicherheit, Gelassenheit und Souver�nit�t, die Tradition und Wissenschaftlergemeinschaft eines „alten" Faches hervorbringen (k�nnen). �hnliches m��ten dann auch f�r andere neue Disziplinen wie etwa die Politikwissenschaften oder die Informatik zutreffen; n�heres ist mir hier nicht bekannt.

Arg mag einem bei manchem Fachdidaktiker auch die Liebe zu seinem Fach aufsto�en; vielleicht, so ist man dann geneigt zu meinen, ersch�pft sich seine ganze Wissenschaft in der m�hsamen Rationalisierung dieser Liebe, die sie - Gl�ck im Ungl�ck - auch nur schlecht kaschiert. Der Fachdidaktiker und seine Spielzeugeisenbahn. Einem Germanisten oder einer Chemikerin w�rde man so sicher kaum die Liebe zur Germanistik oder Chemie vorhalten, allein diese ist ja auch nicht Inhalt seiner bzw. ihrer T�tigkeit. Aber bei manchem Fachdidaktiker k�nnte man manchmal diesen Eindruck haben.

Auch Kleinkr�mer und -b�rger kann man unter ihnen antreffen, Autoren von Kirchenbl�ttchen und anderen Verbandsorganen ohne Souver�nit�t oder wissenschaftlichen Weitblick. Wo g�be es die nicht?

In der Mathematik mag es noch eine spezielle Version geben: der Didaktiker als Verr�ter, der in unverantwortlicher Weise eine F�hre zur Insel der happy few betreibt. Eine Tradition mathematischer Lehre ist die Unverst�ndlichkeit, die man sowohl in Kolloquien als auch in Vorlesungen antreffen kann. Wer verst�ndlich vortr�gt, mit dessen Forschung kann es nicht weit her sein; offensichtlich betreibt er Folklore. Die Vorlesungen dienen der Auslese, also bem�he man sich (nicht) und trage besser schlecht vor; wer es trotzdem versteht, der ist geeignet; wer nicht aufh�rt zu verstehen, wird zum Konkurrenten; man schaltet ihn schlie�lich zur gr��ten Not dadurch aus, da� man ihn als Assistenten einstellt.

Aber all dies erkl�rte nur, da� die Didaktik �rgerlich, hinderlich und st�rend sein kann, rechtfertigte aber nicht die Einsch�tzung harmlos.

 

Zum didaktischen Betrieb

Sprache erscheint dem, der formal denkt, h�ufig unlogisch. Vermutlich liegt gerade darin ihre Verst�ndlichkeit. Nach einem Artikel in der FAZ mit der �berschrift Mann erschlug grundlos seine Frau erkundigte sich ein Leser ganz folgerichtig in einem Brief, welche Gr�nde es wohl gebe, seine Frau zu erschlagen. In Statements und �berschriften findet man immer wieder eine Gedankenfigur, die ich bezeichnen m�chte als:

pro bono contra malum

Der Finanzminister tritt etwa gegen �berh�hte Beihilfen an die neuen Bundesl�nder ein, der Innenminister gegen eine Asylantenflut, der Justizminister f�r eine angemessene Bestrafung von Vergewaltigern etc. Eine rhetorische Figur: Wer w�re schon f�r �berh�he Beihilfen, f�r eine Asylantenflut oder gegen eine angemessene Bestrafung? Der Leser versteht die Botschaft. Offensichtlich h�lt z.B. der Innenminister die Zahl der Asylbewerber f�r zu hoch und bringt das auf diese Weise zum Ausdruck.

Ich habe zuweilen den Eindruck, da� von manchen manchmal in der Fachdidaktik �hnlich gearbeitet und gelehrt wird. Wenn man etwa an den Gebrauch von Termini wie dem des handlungsorientierter Unterrichtes denkt, dann ist da wohl eine Entscheidung gefallen, da� dieser n�mlich etwas Anzustrebendes sei, und nun wird propagiert oder missioniert oder agitiert oder - wie Sie es auch immer nennen m�gen. Wissenschaft w�re doch zun�chst zu fragen, was ist handlungsorientierter Unterricht oder was will man als solchen charakterisieren, was unterscheidet ihn von anderem Unterricht, worin liegen seine St�rken und Schw�chen etc., statt ihn mirnichts dirnichts zu propagieren und vielleicht sogar als Terminus in Studien- und Pr�fungsordnungen zu �bernehmen. Wer w�re denn gegen einen kindgem��en Sachunterricht in der Grundschule, wer gegen eine alters- und sachgem��e Darstellung der Prozentrechnung? Man gebe also das pro bono contra malum Denken auf und betreibe, um im Bild zu bleiben, statt dessen mehr Moralphilosophie mit den Studenten. Sonst wird Didaktik zu Recht als harmlos betrachtet werden, n�mlich als ein Metier des guten Willens oder gar der Gutwilligkeit.

Gleichfalls nach dem pro bono contra malum Prinzip nur systematischer verlaufen die

Wagenschein- und von-Hentig-Messen

Es wird ein fachdidaktischer Vortrag oder eine Vorlesung gehalten. Die schn�de Realit�t ist bekannt, ihr gilt es entgegenzutreten. Mit gro�er Bewegung und innerer Anteilnahme beruft man sich dabei auf Kronzeugen und Erzengel, wie Wagenschein und von Hentig. Vermutlich haben solche Veranstaltungen eine tiefe Berechtigung. Hier soll erweckt werden. Ich selbst habe an solchen schon teilgenommen, als Gl�ubiger, zuweilen auch als Me�diener. Die Analogie zu religi�sen Veranstaltungen erstreckt sich leider auch auf die Teilnehmer: Die, die es n�tig h�tten, fehlen und die, die da sind, haben es nicht n�tig, schw�ren sich aber noch einmal auf die gemeinsamen Ziele als Glaubens- oder Fangemeinde ein. Man sollte aber die Teilnahme an Gottesdiensten nicht mit theologischer Arbeit verwechseln.

Um es �berspitzt zu sagen: Theologie m�ndet nicht in Glauben, Fachdidaktik nicht in Unterricht.

 

Die zahlreichen Praktika an der Universit�t Potsdam

Nun ja, wird man einwenden, das Studium soll aber doch - nach unserem Hausheiligen und seinen Schriften - professionsorientiert sein; dazu gebe es schlie�lich die zahlreichen Praktika.

Nicht die Anzahl und Dauer der Praktiken, sondern vor allem die Ausrichtung (lat.: Orientierung) bestimmen ihre Bedeutung f�r das Lehramtsstudium. Die fr�hen Schulpraktika haben mich nie so recht �berzeugt. Das Argument des Rollenwechsels erinnert mich mehr ans Monopoly-Spielen: F�r die n�chsten drei Runden �bernehme ich die Bank. Schule ist den Studentinnen und Studenten hinreichend - wenn nicht im �berma� - bekannt, sie sind Anstaltsprofis. Sie kennen den Sinnspruch „Non scholae sed vitae discimus" zur Gen�ge. Lehramtskandidaten haben mir gegen�ber schon schalkhaft berechtigt das Gegenteil versichert, sie wollten doch Lehrer werden, also f�r die Schule lernen: Non vitae sed scholae. Jemand der dreizehn Jahre in der Schule verbracht hat, vermutlich noch als nicht allzu schlechter Sch�ler, sollte nicht sofort gewendet und wieder dort hingeschickt werden. Wann tritt er denn endlich einmal ins Freie, probiert seine Bildung tats�chlich aus: taugt sie, tr�gt sie, wenn er „vor die Fragen des Lebens" (K�hnel) gestellt wird? Statt dessen wird er von uns zur�ck in die Schule geschickt; nur nicht zuviel frische Luft! Statt dessen halten wir ihn dazu an durchzustarten. Nahezu entgegengesetzt wird in der Denkschrift der Bildungskommission NRW Zukunft der Schule - Schule der Zukunft als Voraussetzung f�r die Aufnahme eines Lehramtsstudiums ein halbj�hriges Praktikum oder eine ad�quate berufliche T�tigkeit in Wirtschaft, Verwaltung, sozialen und au�erschulischen p�dagogischen Einrichtungen empfohlen. Dieses soll vor allem dazu dienen, vor Studienbeginn T�tigkeitserfahrungen au�erhalb der Schule zu gewinnen. In die gleiche Richtung gehen die Erfahrungen am Studienseminar f�r die Sekundarstufen I und II in Potsdam: Kandidaten mit „Vergangenheit" taugen mehr als Retortenbabies.

Die schulischen Praktika werden h�ufig handwerklich gesehen und begr�ndet, vielleicht sogar als eine Art duales Bildungssystem: die Studentinnen und Studenten sollen schon einmal ein bi�chen Lehrerluft schnuppern, hie und da und zunehmend selbst Stunden geben, eben Lehrling oder Novize sein: fr�h kr�mmt sich, was ein H�kchen werden will. Ich halte solches Vertrautmachen und Vertrautwerden in der ersten Phase des Studiums nahezu f�r das Gegenteil eines wissenschaftlich angelegten Studiums, was �brigens nicht sagt, da� die Studentinnen und Studenten diese Praktika nicht au�erordentlich sch�tzen und als motivierend erleben. Eine Schul- oder Unterrichtswissenschaft m��te gerade damit beginnen, der Schule und ihrem ganzen Betrieb, um nicht zu sagen Zirkus, den Schleier der Selbstverst�ndlichkeit zu rauben. Dieses Affentheater - laut meinem Fachleiter kommt dieser Ausdruck von offenem Theater - ist nichts weniger als selbstverst�ndlich; die Studentinnen und Studenten sollten es erst einmal bestaunen lernen, sich verwundert die Augen reiben. Ein Mittel, dies zu lernen, w�re �brigens die Verfremdungsmethode der Interpretativen Unterrichtsforschung: der mikroskopische Stil deren Transkripte entzieht dem unterrichtlichen Geschehen Selbstverst�ndlichkeit und Nat�rlichkeit (Zoo(m)methode). Man kann auch anders vorgehen, indem man zum Beispiel alternative Schulformen oder Schulen in anderen L�ndern besucht und untersucht oder sich mit der Geschichte von Schule besch�ftigt. Dabei w�rde zun�chst die Geschaffenheit, die K�nstlichkeit der uns eigentlich so vertrauten Schule deutlich. Grunds�tzlich w�rde ich die These aufstellen: Unterricht kann nur gut sein, wenn sich der Lehrer dieser K�nstlichkeit bewu�t ist und sie - zuweilen auch mit den Sch�lern - reflektiert. Schule ist eine gesellschaftlich geschaffene, k�nstliche Situation, so „nat�rlich" auch die Beteiligten agieren m�gen. Dies kann einem �brigens schon ganz �u�erlich deutlich werden, wenn man zum Beispiel eine Schule, d.h. ein Schulhaus in den Ferien betritt. N�mliches gilt auch f�r das schulische Curriculum als Basis von Schule. In dem gut lesbaren B�ndchen Handlungsorientiert lehren und lernen nennt und erl�utert Gudjons zehn Merkmale des Projektunterrichts und benennt als zehntes dessen Grenzen.

Seine Grenzen sind ebenfalls ein Merkmal des Projektunterrichts" (...) Historisch l��t sich nachweisen, da� nicht der Projektgedanke, sondern der Lehrgang das Entstehen von Schulen begr�ndet: „Schule entsteht immer dann, wenn ein umfassender, rational durchgebildeter Lehrgehalt existiert, der nur in methodisch geordneter Weise �berliefert werden kann." (Gei�ler 1969, 165).
Wenn das Lernen in der nat�rlichen Lebensumwelt nicht mehr ausreicht, um die in einer Kultur gesammelten Erfahrungen, Erkenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln, dann setzt die �bermittlung in Form des systematisch geordneten und methodisch geplanten Unterrichts ein. Insofern ist der Lehrgang letztlich - trotz aller „Entschulungsversuche" - das Kernst�ck von Schule �berhaupt.
(Gei�ler, G.: Strukturfragen der Schule und der Lehrerbildung. Weinheim 1969)

Didaktik und Fachdidaktik sollten sich nicht darauf kaprizieren, von der Schule oder den Lehrern st�ndig etwas zu fordern, was diese nicht leisten k�nnen. Nimmt man die Bedingungen, unter denen letztere arbeiten, nicht zur Kenntnis oder nicht ernst, dann wird man in der Tat schnell zum harmlosen Rufer in der W�ste avancieren.

Zur Rolle der Fachdidaktik im Lehramtstudium

Hier sind wir auch schon mitten in meinem dritten Punkt, n�mlich der Rolle der Fachdidaktik im Studium. Training on the job, eine Instituts- oder PH-Ausbildung, bei der zwei Instrumente zu erlernen, eine sch�ne Schrift wichtig, jede Stunde eine Deutschstunde und der Unterricht ganzheitlich angelegt ist, entsprechen sicher dem Bed�rfnis und den Erwartungen insbesondere vieler Grundschulanw�rterinnen und -anw�rter besser als ein wissenschaftliches Studium. Und deshalb bin ich mir gar nicht einmal sicher, da� das wissenschaftliche Studium f�r diesen Personenkreis geeigneter als eine Lehrlingsausbildung ist. Wenn es weder dem Fach noch seiner Didaktik gelingt, ihre wissenschaftlichen Anspr�che, Fragestellungen und Themen im Bewu�tsein der Studierenden zu begr�nden, dann bleibt subjektiv gerade die Wissenschaftlichkeit ein �rgernis, um nicht zu sagen, ein Hindernis auf dem Weg zu dem angestrebten Beruf, in dem dann zwar mit zeitlicher Verz�gerung, aber unmittelbar auf das eigene, schon als Sch�ler erworbene Lehrerbild zur�ckgegriffen wird, die Orientierung am eigenen Mathematik- oder Deutschlehrer.

Mischformen der Ausbildung und Bildung, etwa eine wissenschaftliche Handwerkslehre, m�ssen schlie�lich doch der einen oder anderen Seite den Vorzug geben. Wissenschaft verflacht dabei leicht zur idealen oder idealisierten Praxis. Dann w�ren Didaktik und Fachdidaktik zu Recht der Harmlosigkeit �berf�hrt. Sie verk�men zu einer allenfalls begrifflich aufwendigen Beschreibung von Lernvorg�ngen, die jeder 13-j�hrige, ganz zu schweigen von drei�ig 13-j�hrigen, in Minutenschnelle desavouieren k�nnte. Denn die Verh�ltnisse, die sind nicht so, wie man bei Bert Brecht lesen kann. Harmlos, weil l�cherlich, w�re das berechtigte Urteil. Der gleiche Tenor - wenn vielleicht auch nicht so heftig - kann sich auch bei der Fach-Didaktik als service subject ergeben, die mit wenigen Stunden dem Fach gegen�bertritt, dessen Inhalte nun auf Schulniveau zu- oder ausrichten, sie lehrbar oder gar lernbar machen soll. Die Dignit�t der Wissenschaft deckt nicht ihre Schulvermittlungs- oder PR-Abteilung, da diese gar nicht wissenschaftlich gedacht oder betrachtet werden: auch so kann Didaktik harmlos werden.

Auffassungen von Fachdidaktik als wissenschaftlicher Disziplin oder Was Fachdidaktik nicht ist

Das gleiche Epitheton tr�fe auf einige naive Didaktikbilder zu. Stellen wir uns etwa folgendes vor: im Vordergrund ein St�llchen, in dem neben einigem Babyspielzeug ein Kleinkind zu sehen ist, das auf seinen Beinchen stehend seine Arme nach drau�en reckt. Im Hintergrund vollgepfropft oder streng geordnet B�cherregale �ber B�cherregale mit Beschriftungen wie Physik, Metaphysik, Mathematik, Chemie, Medizin, Jura etc., soweit das Auge des Betrachters sehen kann. Als Bildunterschrift der Ausruf: Gott sei Dank - es gibt Didaktik. So weit, so l�cherlich, und doch sehe ich westliche und �stliche Versionen, deren Zerrbild das beschriebene sein k�nnte. Noch systematischer vielleicht: das Bild zweier benachbarter Einrichtungen; ein Krei�saal neben einer Bibliothek. Hier w�rde ich als Didaktiker eher auf Unzu-st�ndigkeit pl�dieren, als Fischerei- und Computervokabeln wie Netz, Netz des Wissens, Vernetzung, vernetztes Denken ins Feld zu f�hren. Auch der Schlachtruf „Alle alles zu lehren" schreckt mich. Eine schreckliche Vorstellung: st�ndig bringen irgendwelche Leute anderen - zumeist wohl j�ngeren - etwas bei, als g�be es nichts anderes oder Sch�neres und Wichtigeres oder N�tzlicheres f�r diese zu tun, als stillzuhalten und zu lernen. Ist das der Triumph von Didaktik: Das Leben wird schlie�lich g�nzlich zur Lebensvorbereitung?

In Parenthese: es k�nnte auch zu dem Odium der Harmlosigkeit beitragen, da� Sch�ler Kinder sind, Didaktik also als Sandkastenwissenschaft, die - wie andere Wissenschaften abwertend - der professionalisierten Mutterrolle zugeschrieben werden. Ich erinnere nur an das sogenannte Problem der Feminisierung der P�dagogik.

Westlich: das Spielzeugland

Sesame street: Bunt lackierte und gut motivierte Wege und - mit besonderer Inbrunst - geplante Holzwege baut der Didaktiker auf, wird daf�r gelobt und doch harmlos genannt: Wie kommt's? Ich kann dies hier nur kurz skizzieren: der sorgf�ltigen, vielleicht zuweilen sogar �bersorgf�ltigen Stoffanalyse folgt eine Sequenzierung des Stoffes in appetitliche Happen (teaspoon-, step by step- oder staircase-method), diese werden dann einzeln durchdacht, motiviert, mit Beispielen und Aufgabenstellungen versehen, kurz sie werden mit Aufwand und M�he didaktisiert. Der Stoff ist erlegt und zerlegt; er hat l�ngst seinen Geist ausgehaucht, es handelt sich nur noch um seine curriculare Simulation: es sieht zwar noch so aus wie Mathematik, ist aber keine mehr; das ist jetzt Schule. Die Fragen sind verschwunden, es werden Antworten gelehrt, auf Fragen, die nie gestellt wurden. Der Sch�ler kann nur raten, der Lehrer souffliert ihm dabei. Ein trauriges Resultat, aber nicht eines einer harmlosen Didaktik, sondern eines sinnlosen, weil Sinn austreibenden Didaktisierens.

Vielleicht f�hrte auch das diffuse Gef�hl den eingangs erw�hnten Studenten zu seinem Ausspruch �ber die Didaktik, da� es in dieser nicht um das Eigentliche, die Sache selbst n�mlich gehe, sondern dieser gleichsam etwas angeklebt werde, da� Didaktik weder ihm noch seinen k�nftigen Sch�lern die Sache n�herbringt, sondern sich eher als eine eigent�mliche Ebene - voller zus�tzlicher W�rter, Begriffe und nicht so recht nachvollziehbarer Anspr�che - dazwischen schiebt. Als ein oberfl�chliches Indiz daf�r lie�e sich die Frage eines Studenten werten, der in der ersten Sitzung eines Seminars zur Didaktik der Algebra wie die anderen Teilnehmer zun�chst einige Aufgaben zur Gleichungslehre selbst bearbeiten sollte: „Soll ich die Aufgaben so l�sen, wie ich das normal tue, oder so, wie ich es als Lehrer f�r die Sch�ler tun m��te?"

In diesem Zusammenhang auch noch eine Bemerkung zu dem Begriff der didaktischen Reduktion, den ich - zumindest aus meinem Gebiet heraus - nicht so recht verstehen kann: In der Mathematikdidaktik ist es nicht das Hauptanliegen, das Interessante einfach zu machen, sondern das Einfache interessant zu machen. Das Einfache (freilich auch als Abstraktes) ist der Schl�ssel zum Verstehen und nicht die Simplifizierung komplexer Sachverhalte. Aber vielleicht gilt dies nur auf meinem Gebiet und auf anderen stehen didaktische Reduktionen im Mittelpunkt.

�stlich: das Lernland

Ulbrichts Diktum, es gelte den Westen zu �berholen statt ihn einzuholen, kennzeichnete die Konkurrenzsituation. Wieder notwendig verk�rzt: der wissenschaftliche Sozialismus wollte eine Durchformung der Gesellschaft, eine Ausrichtung auf sozialistische Zielvorstellungen erreichen. Aus meiner Sicht f�hrte dieses Denken im Bildungsbereich (und nicht nur dort) zu einem Optimierungsdenken: es galt den Wissenserwerb, die F�higkeitsentwicklung etc. zu optimieren. Hinzu tritt die - f�r mich zun�chst nicht verst�ndliche und nicht nachvollziehbare - Vorstellung, da� diese Aufgaben eine L�sung, eine eindeutige L�sung haben, die durch gute und sorgf�ltige Planung erreichbar ist. Vielleicht sind die Aussagen des dialektischen Materialismus �ber die homogen strukturelle Einheit der Welt die philosophischen Grundlagen dieser Pr�misse. Diese Eindeutigkeit der L�sung scheint mir charakteristischer und Lehrende wie Lernende in ihrem Denken pr�gender als deren jeweiliger Inhalt und deren jeweilige Gestalt. N�mliches gilt f�r die offensichtlich unterstellte Deduzierbarkeit dieser L�sungen aus systemischen Grundlagen und Vorgaben; eine Ableitbarkeit aus einer Hierarchie von Zielvorstellungen und Begriffen, die an die Nikomachische Ethik erinnert. Als ich hier in Potsdam zu arbeiten begann, war eine meiner Fragen: Ist die Mathematikdidaktik in der ehemaligen Bundesrepublik in ihrem Kern so affirmativ, wie mir die Mathematikmethodik in der DDR stets erschien? Inzwischen ist mir klar geworden, da� zumindest f�r die DDR von Affirmation nicht die Rede sein kann: die sorgf�ltige Planung, zuweilen auch Planungswut, in allen Belangen des Bildungs-, Schul- und Hochschulwesens der DDR war nicht nolens volens, mehr oder minder System bejahend, sondern dessen vors�tzlicher Bestandteil und Tr�ger. Es stellt sich also f�r die DDR geradezu die gegenteilige Frage: Ist es �berhaupt m�glich, Methodik oder Didaktik so zu gestalten, da� sie den Zielvorstellungen eines (und speziell dieses) gesellschaftlichen Systems Vorschub leisten und sie bef�rdern? Diese Frage wurde hier offensichtlich bejaht; die K�nnens- und Wissensentwicklung wurde optimiert; die Sch�lerinnen und Sch�ler sollten optimal aneignen. Wissenspeicher wurden in der DDR Jahrgangsb�nde zum Mathematikunterricht genannt. Ich kann mich von dem Gef�hl nicht ganz frei machen, da� das WiK� (das Wissen und K�nnen) und das Aneignen Begriffe sind, die Resultate einer Verdinglichung sind, die wohl ihre deskriptive Folgerichtigkeit haben mag, zugleich aber systematisch und notwendig daneben schl�gt. H�ufig haben Lerntheorien aus gutem Grund letztlich einen biologischen Hintergrund. Ich w�rde einmal - freilich nur zu Testzwecken - die Quantenmechanik mit ihrem Teilchen-Welle-Dualismus als Hintergrund vorschlagen: da h�tte man auf der einen Seite das Transportproblem, wie kommen diese Lerngegenst�nde, also jetzt Lernteilchen, in den Kopf des Lernenden, und wenn es zu dinglich w�rde k�nnte, k�nnte man schnell auf die Welleninterpretation dieser undinglichen Bewegung erkl�rend zur�ckgreifen.

Didaktik als Darstellungskunst

Es gab oder gibt ein Jetzt-helf-ich-mir-selbst- oder Die-Axt-im-Haus-Buch, das gut geschrieben und illustriert erl�uterte, wie man seinen Klokasten repariert und �hnlich lebenswichtige Dinge verrichtet. Der Autor war offensichtlich ein Fachmann in diesen Fragen. Wenig sp�ter erschien von ihm ebenso gut geschrieben und illustriert ein Kochbuch, sp�ter ein Sachbuch zu einem ganz anderen Thema. Das hat mich verwundert: der Autor konnte gar nicht in all diesen Dinge bewandert oder gar Fachmann sein: Handelte es sich also um einen Didaktiker, der ggf. Sachverhalte und Vorg�nge besser erkl�rt, als es der Fachmann selbst kann? Auch wenn man diese F�higkeiten, gerade angesichts so mancher Gebrauchsanleitung, bewundern kann, ich w�rde das Darstellungskunst, aber nicht Didaktik nennen. Der Didaktiker, der seinen Stoff verloren hat, bei dem an die Stelle der Sache und ihrer Kl�rung die Kunst des Zeigens getreten ist, der mag zwar Sachverhalte angemessen darstellen, aber mit seinem Stoff hat er auch seine Sch�ler verloren: hier wird nicht gelernt, sondern gezeigt und erkl�rt. Die Abenteuer des Denkens sind l�ngst verschwunden zugunsten einer wohl durchdachten Filetierung des Stoffes, die Sache selbst verbla�t nahezu notwendig unter ihrer aufwendigen Verpackung, Medien- und Computereinsatz tun ein �briges, vom Kern der Sache abzulenken. Vermittlungskunst statt Didaktik: was breitgetreten wird, nimmt an Umfang zu und an H�he (Niveau) entsprechend ab.

Harmlos weil wirkungslos

Der Nobelpreistr�ger Richard P. Feynman ist zumindest unter Naturwissenschaftlern und insbesondere Physikern ein ber�hmter und geachteter Mann. Man preist seine Veranstaltungen als atemberaubend, man liebt seinen Stil, wenn nicht sogar Lebensstil, der - ganz Naturwissenschaftler - vor nichts haltmacht: weder vor Autorit�ten noch vor K�nigen, Frauen oder Wunderheilern. Dies k�nnen Sie seinem Buch: „Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman" - Abenteuer eines neugierigen Physikers nachlesen. Auf Seite 448 beginnt er dort ein Kapitel mit folgendem Absatz:

Im Mittelalter gab es alle m�glichen verqueren Ideen, zum Beispiel die, da� ein St�ck vom Horn des Rhinozeros die Potenz steigere. Dann wurde eine Methode zur Aussonderung von Ideen entdeckt - die darin bestand, eine Idee auszuprobieren, um zu sehen, ob die funktionierte, und sie, wenn das nicht der Fall war, zu eliminieren. Diese Methode wurde nat�rlich zur Wissenschaft ausgebaut. Und die hat sich so gut entwickelt, da� wir jetzt im wissenschaftlichen Zeitalter leben. Dieses Zeitalter ist in der Tat so von der Wissenschaft gepr�gt, da� es uns schwerf�llt zu verstehen, da� es je Wunderheiler geben konnte, wo doch nichts - oder nur sehr wenig - von dem, was sie vorschlagen, je wirklich funktionierte.

Er kommt dann auf Ufos, Astrologie, Halluzinationen und Uri Geller zu sprechen und f�hrt dann weiter aus:

Doch dann fing ich an zu �berlegen: Was gibt es denn sonst noch, woran wir glauben? (Und dabei dachte ich an die Wunderheiler und wie leicht es gewesen w�re, sie zu �berf�hren, wenn man darauf geachtet h�tte, da� nichts wirklich funktionierte.) So kam ich auf Dinge, an die noch mehr Leute glauben, zum Beispiel, da� wir ein Wissen davon haben, wie wir erziehen sollen. Es gibt ganze Schulen in bezug auf Lesemethoden, Rechenmethoden und so weiter, aber wenn man achtgibt, sieht man, da� die Leistungen im Lesen weiter zur�ckzugehen - oder kaum steigen -, und das, obwohl wir best�ndig eben diese Leute einsetzen, um die Methoden zu verbessern. Das ist auch so ein Wundermittel, das nicht wirkt. Man m��te das untersuchen: Woher wissen sie eigentlich, ob ihre Methode wirkt? Ein anderes Beispiel ist die Behandlung von Verbrechern. Offenbar ist es uns nicht gelungen - wir besitzen zwar viele Theorien, haben aber keinen Fortschritt gemacht -, durch die Methode, mit der wir Kriminelle gew�hnlich behandeln, die Verbrechensrate zu senken.
Trotzdem hei�t es, diese Dinge seien wissenschaftlich. Sie werden studiert. Und ich glaube, gew�hnliche Leute, die vern�nftige Ideen haben, werden von dieser Pseudowissenschaft eingesch�chtert. Die Lehrerin, die eine gute Idee hat, wie sie ihren Sch�lern das Lesen beibringen kann, wird vom Schulsystem gezwungen, es anders zu machen - oder l��t sich vom Schulsystem sogar weismachen, da� die Methode nichts taugen k�nne. Oder eine Mutter bestraft ein paar L�mmel und f�hlt sich f�r den Rest ihres Lebens schuldig, weil sie im Sinne der Experten nicht „das Richtige" getan hat. Wir sollten uns also Theorien, die nicht funktionieren, und Wissenschaften, die keine sind, sehr genau anschauen. Ich glaube die p�dagogischen und psychologischen Untersuchungen, die ich erw�hnt habe, sind Beispiele f�r das, was ich als Cargo-Kult-Wissenschaft bezeichnen m�chte. In der S�dsee gibt es bei bestimmten V�lkern einen Cargo-Kult. W�hrend des Krieges sahen sie, wie Flugzeuge mit vielen brauchbaren G�tern landeten, und nun m�chten sie, da� das wieder geschieht. So sind sie �bereingekommen, Landebahnen anzulegen, seitlich der Landebahnen Leuchtfeuer anzuz�nden, eine H�tte aus Holz zu bauen, in der jemand mit einem h�lzernen Apparat sitzt, der wie ein Kopfh�rer aussieht und in dem Bambusst�cken als Antennen stecken - das ist der Fluglotse -, und die warten darauf, da� die Flugzeuge landen. Sie machen das jede Nacht. Die Form ist perfekt. Es sieht genauso aus, wie es fr�her aussah. Aber es funktioniert nicht. Es landen keine Flugzeuge. All das nenne ich Cargo-Kult-Wissenschaft, weil es anscheinend allen Respekten und Formen der wissenschaftlichen Forschung folgt, aber etwas Wesentliches verfehlt, denn die Flugzeuge landen ja nicht.

Sind P�dagogik, Didaktik und Fachdidaktik ein Kult mit h�lzernen Kopfh�rern? Ein aufwendiges, sch�n erdachtes oder beschriebenes, suggestives Bild, nur gl�cklicherweise, will man hastig hinzuf�gen, falsch. Der Schu� geht daneben und trifft doch: hoffentlich diesen oder jenen Kollegen, k�nnte man sich h�misch w�nschen. Was bei Feynman zun�chst wie eine gelungene Beweisf�hrung aussehen mag, ist bei n�herer Betrachtung doch nur ein blendender Vergleich: Ein offensichtlicher Pseudokult wird Wissenschaft genannt, um diese - aus meiner Sicht sogar recht platt - zu desavouieren, so da� schlie�lich nur Naturwissenschaft als solche - mit einem eher beschr�nkten Begr�ndungshorizont - bestehen kann. Dieser Schu� geht daneben. Ins Herz trifft insbesondere der P�dagogik aber offensichtlich die Frage nach ihrer N�tzlichkeit. Die P�dagogik l��t sich von dieser Frage fesseln und knebeln, sie scheint ihr ein st�ndiges Damoklesschwert.

Feynmann w��te �brigens auch hier Rat:

Ich war beispielsweise ein wenig �berrascht, als ich mich mit einem Freund unterhielt, der eine Rundfunksendung vorbereitete. Er arbeitet �ber Kosmologie und Astronomie und fragte sich, wie er die Anwendungen seiner Arbeit erkl�ren sollte. „Nun", sagte ich, „es gibt keine." Er sagte: „Ja das stimmt, aber wenn ich das sage, bekommen wir daf�r keine Forschungsmittel mehr." Ich finde das irgendwie unredlich. Wenn man sich als Wissenschaftler darstellt, sollte man den Laien erkl�ren, was man tut - und wenn diese einen unter diesen Umst�nden nicht mehr unterst�tzen wollen, dann ist das eben ihre Entscheidung.

Gerade aus meinem Fach heraus f�llt mir auf, wie stark die P�dagogik von der Frage der N�tzlichkeit besetzt ist. Die Mathematik scheint mir dagegen sicher wie die Existenz der Erde und des Mondes; aber nicht oder zumindest nicht vorrangig, weil sie n�tzlich w�re, sondern einfach auf Grund der Dignit�t ihres Forschungsgegenstandes und ihrer Erkenntnisse. Emphatisch zitiert 1930 einer der gr��ten - deutschen - Mathematiker, n�mlich David Hilbert, in seiner programmatischen Rede Naturerkennen und Logik beipflichtend den 1804 in Potsdam geborenen Mathematiker Carl Gustav Jakob Jacobi: Die Ehre des menschlichen Geistes ist der einzige Zweck aller Wissenschaft. Warum sind die P�dagogen dagegen so kleingl�ubig und stellen so h�ufig ihre eigene Wissenschaft zur Disposition? Wer fragte denn nach der - von mir unbestrittenen - N�tzlichkeit der Altphilologen oder Arch�ologen?

Eine Hypothese w�re: je mehr die Wissenschaft sich dem Menschen n�hern, desto mehr l�st sie sich auf. Aber ich wei� nicht, ob sie richtig ist, und selbst dann w�re sie noch kein Grund, die N�tzlichkeit zum Knebel und B�ttel oder Wertma�stab p�dagogischen Denkens zu erheben.

Wo bleibt das Subversive

Ich werde mich h�ten, gerade nach meinen obigen Ausf�hrungen hier nun einer F�r das Subversive gegen das Affirmative - Didaktik das Wort zu reden oder auch nur meine Stimme zu leihen.

Schlechte Zeiten f�r Subversion? Schleichend in den achtziger Jahren, rapide in den neunziger Jahren haben die Hochschulen einen Autorit�tsverlust erlitten, den sie selbst flei�ig bef�rdert haben. Autorit�t, Einflu�, Macht und schlie�lich Geld erwirbt man heute durch Drittmittel: nicht seine Stellung oder seine Schriften machen den Professor heute bedeutend, sondern die H�he der Drittmittel, die er eingeworben hat. Nicht sein Denken macht ihn bekannt, sondern die Tatsache, da� es ihm gelang, Sponsoren, die im Zweifel nichts von der Sache verstehen, zu �berzeugen, ihm ihr Geld f�r diesen oder jenen Zweck anzuvertrauen. Die Hochschule ist erfreut so bedeutende Mitglieder in ihrem Lehrk�rper zu wissen. (Nicht einmal bei einem Hochschulfest oder dem Empfang nach einer Ehrenpromotion geht es ohne Nennung der Sponsoren ab, als k�nnten wir nicht einmal unser Bier mehr selbst bezahlen.) Kritische Potenzen der Universit�t erlahmen in dieser science-park-Landschaft. Hier geht es nicht mehr um unbewu�te oder verschwiegene Affirmation sondern um bewu�te und offene Geld-, Auftrags- und Parteinahme von und f�r die Industrie- und Handelskammer und der in ihr zusammengefa�ten Unternehmen. Es scheint seltsam anachronistisch, hier noch nach Subversion zu fragen. Es liegt deshalb nahe, einen „�lteren" Text von 1971 heranzuziehen, ein Gespr�ch zwischen Michel Foucault und Studenten, das unter dem Titel Jenseits von Gut und B�se in dem Buch Von der Subversion des Wissens abgedruckt wurde.

Subversion des Wissens

Alain: Es darf nicht vergessen werden, was sich auf der Stra�e abspielt: die Durchsuchungen des Quartier Latin; die Bullen, die mit ihren Wagen die Mopeds der Sch�ler blockieren, um zu sehen, ob sie nicht Drogen haben. Diese ununterbrochene Pr�senz: ich kann mich nicht auf die Erde setzen, ohne da� mich ein Uniformierter zum Aufstehen zwingt. Doch ist die Repression im Unterricht, die einseitig ausgerichtete Information, wahrscheinlich noch schlimmer... Serge: Man mu� unterscheiden: zun�chst die Aktivit�ten der Eltern, die einem die H�here Schule als Etappe zu einem bestimmten Berufsziel hin aufzwingen und die alle Hindernisse, die sich diesem Ziel entgegensetzen, zu beseitigen suchen; dann der Staatsapparat, der jede freie und kollektive Aktion untersagt, auch wenn sie harmlos ist; schlie�lich das Schulwesen selbst - aber da sind die Dinge noch komplizierter. Jean-Pierre: In vielen F�llen wird der Unterricht des Lehrers nicht unmittelbar als repressiv erlebt, auch wenn er es eigentlich ist. Michel Foucault: Jawohl, die Wissenvermittlung stellt sich immer als etwas Positives dar. In Wirklichkeit fungiert sie immer als Unterdr�ckung und Ausschlie�ung - die Mai-Bewegung in Frankreich hat einige Aspekte davon bewu�t gemacht: Ausschlie�ung derjenigen, die kein Recht auf Wissen haben oder die nur auf einen bestimmten Typ des Wissens Recht haben; Aufzwingung einer bestimmten Norm, eines bestimmten Modells des Wissens, das sich hinter dem Gesicht einer interesselosen, allgemeinen, objektiven Erkenntnis verbirgt; Existenz „reservierter Wissenszirkulationen", die sich innerhalb eines Verwaltungs- und Regierungsapparats, eines Produktionsapparats, bilden und zu denen es keinen Zugang von au�en gibt."

Die Wissensvermittlung stellt sich immer als etwas Positives dar. Didaktik als Vers�hnung mit der Welt, der gesellschaftlichen Ordnung? Liegt hier ihr eigentlich affirmativer Charakter? In wenigen S�tzen lie�e sich diese Frage nur falsch, plakativ oder ungen�gend beantworten. Statt dessen w�re zun�chst einmal weiter zu fragen: Kann Didaktik affirmativ, das Wissen selbst aber subversiv sein? Ist „wahre" Wissenschaft nicht von vornherein subversiv oder kann sie ebenso gut oder beliebig auch Herrschafts- und Verf�gungswissen anh�ufen? Macht Erkenntnis die Sache sich gef�gig? Oder f�gt sie sich ihr?

Wenn Wissen subversiv sein kann, was sagen dann die Gesellschaft und der Staat dazu? Wie reagieren sie darauf als Inhaber und Betreiber nahezu aller Bildungseinrichtungen? Hier auf dem Boden der ehemaligen DDR vermisse ich eine Behandlung dieser Fragen. Von ideologischer G�ngelung befreit, m��te gerade hier doch ein Knall zu h�ren sein. Wo bleiben das Beben und seine Wellen, das die Staatlichkeit von Wissenschaft und Bildung befragt und in Zweifel zieht? Ich sehe hier nur haupts�chlich Nachlernen und Rezipieren vorher unzug�nglicher Quellen: wo bleibt das Subversive?

Subversion der Wissenschaft

Subversion der Wissenschaft k�nnte hei�en, da� die Wissenschaft Gesellschaft und Staat untermininiert, aber auch da� die Wissenschaft selbst untergraben wird. Wie schnell deren begriffliche Ger�ste, Theorien, Selbstverst�ndnis und gesellschaftliches Rollenverst�ndnis ins Rutschen kommen kann, l��t sich erleben, wenn man z.B. - und vielleicht nur ein St�ck weit - Ausf�hrungen von Paul Feyerabend folgt (und man w�re fast versucht, dies auch einmal Feynman zu empfehlen). In Wissenschaft als Kunst geht er auf die Fragen: (a) Was ist Wissenschaft? und (b): Wie wichtig sind die Wissenschaften? ein. Zur ersten bemerkt er:

Frage (a) nimmt an, da� alle wissenschaftlichen Disziplinen in allen Stadien ihrer Geschichte gewisse Z�ge gemeinsam haben und da� man diese Z�ge aufzeigen, beschreiben und verstehen kann, ohne die komplexe Praxis zu verstehen, der sie angeh�ren. Die Annahme setzt voraus, da� Wissenschaftler, die ja die Tendenz haben, alles zu kritisieren und zu ver�ndern, doch gewisse Dinge unber�hrt lassen - und das sind eben die Dinge, die ihre Verfahren „wissenschaftlich" machen. Die Annahme war plausibel in Zeiten, in denen gro�e Teile der Wissenschaften eine einheitliche Basis postulierten und glaubten, sie in den Prinzipien gewisser hervorragender Wissenschaften gefunden zu haben, wie etwa in den Prinzipien der Mechanik. Wissenschaftlich sein hie� dann eben den Prinzipien der Mechanik so genau wie nur m�glich folgen. Heute ist die Annahme nicht mehr plausibel. Die Entwicklungen, die zur Relativit�tstheorie und zur Quantentheorie gef�hrt haben, haben nicht nur grundlegende Prinzipien wissenschaftlicher Methodik verletzt, sie haben auch zu Theorien gef�hrt, die scheinbar den Grunds�tzen des vern�nftigen Denkens selbst widersprechen (Grunds�tzen wie etwa: Trennung von Subjekt und Objekt; Kausalit�t; Gesetze der formalen Logik; mechanische Modelle; und so weiter). Niemand kann nach so drastischen Ver�nderung voraussehen, was die Zukunft bringen wird. Es w�re daher sehr unklug, wollte man noch einmal versuchen, die Wissenschaften durch Aufstellung stabiler Randbedingungen der Forschung zu z�hmen. Der Versuch ist nicht aussichtslos, aber wenn er gelingt, dann gelingt er als ein politisches Man�ver und nicht, weil er dem Verfahren der Wissenschaften selbst entspricht. Die einzige vern�nftige Antwort auf die Frage (a) ist also eine historische Antwort: das sind die Theorien, die wir heute haben, das sind unsere Forschungsmethoden, das sind die Gr�nde, warum wir sowohl die Theorien als auch die Methoden f�r gut halten - aber neue Theorien und neue Methoden k�nnen uns jeden Augenblick �berraschen.

Unn�tig zu sagen, da� Feyerabends Anmerkungen zur Frage (b) f�r den naiven und insbesondere den naturwissenschaftlich gepr�gten Denker noch viel verwirrender und beunruhigender ausfallen. Es w�re wenig sinnvoll, sie hier zu paraphrasieren. Eine Didaktik, die ihr Fach auch als Ganzes sieht, kommt aber gar nicht umhin, sich solchen Fragen zu stellen.

Subversive Erziehung

Der Anspruch des eigenen Denken: f�hrt es nur bis zu den Begriffen, die zumeist schon von anderen entwickelt sind, oder f�hrt es auch wieder hinaus? Wie ernst nimmt es sich selbst? Wo bleibt die Skepsis, der Vorbehalt oder auch nur der nat�rliche Argwohn gegen das, was einem da vorgesetzt wird? Als „besonders unwissenschaftliche" Haltung erschiene es mir, wenn die Lernenden all das, was sie vom Katheder h�ren, f�r bare M�nze n�hmen, mit der sie dann sp�ter ihr Examen - die Lehrenden beim Wort nehmend - bezahlen.

Mein harmloser Didaktiker-Rat an die Studenten w�re: statt den Dozenten aus den H�nden zu fressen, lesen Sie einmal in n�chtlichen Debattierzirkeln Feynman und Foucault und Feyerabend; und f�r die Kollegen: Was man den Studenten empfiehlt, sollte man - zuweilen wenigstens - auch selbst tun.

Ich danke Ihnen f�r Ihre Aufmerksamkeit.

In dem lebhaften Gespr�ch, das dem Vortrag folgte, standen weniger dessen Aussagen oder Thesen zur Debatte als das Nicht-Gesagte: nicht das Odium der Fachdidaktik wurde diskutiert sondern diese selbst, ihre Bedeutung, N�tzlichkeit etc, so als m�sse man sich nach „so einem" Vortrag doch dieser Dinge schleunigst vergewissern. Fehlt der missionarische Brustton der inneren �berzeugung, scheint das didaktische Selbstbewu�tsein bei manchem schnell ins Wanken zu geraten.

� The Author 1999